Der wildeste Ritt meines Lebens

Lark nach unserem wilden Ritt durch die Wüste, hinkend, aber mit Lustgesicht

 

Wer kennt wahre vergnügliche Kurzgeschichten für Pferdefreunde? Wir würden diese gerne veröffentlichen. Da das Leben die besten Geschichten schreibt, sollten sie wahr sein.

Ich mache den Anfang.

 

Der wildeste Ritt meines Lebens

Der Araberhengst Lark aus Mansouriah bei Riad, Saudi Arabien, 1983

Mein Mann Achim hat 1982/83 als Bauingenieur in Al Khobar (Half Moon Bay, Persischer Golf) gearbeitet. Während dieser Zeit durfte ich ihn mehrfach besuchen und habe insgesamt 4 Monate in Saudi Arabien verbracht.

Damals durften sich Gastarbeiter noch frei im Land bewegen, wir haben sehr viel gesehen und erlebt. Wir waren Schnorcheln am Roten Meer, haben schwerste Monsunregen im Asir-Gebirge erlebt, Oasen, in denen Zitronen so groß wie Fußbälle wuchsen. Einmal hatten wir große Angst vor schwer bewaffneten Männern mit wild verfilzten Haaren, die sich uns auf einer Straße in einer abgelegenen Gegend in den Weg stellten. Sie wollten aber nur fotografiert werden und sich die Nasen an der Autoscheibe unseres Autos platt drücken, nachdem ich mich geweigert habe auszusteigen.

Damals mussten Ausländerinnen noch keinen bodenlangen schwarzen Umhang tragen und sie brauchten ihre Haare noch nicht bedecken. Beine und Arme mussten aber bekleidet sein, die Figur umspielend ohne deutliche Konturen. Zum Schnorcheln im roten Meer trug ich eine lange Hose und eine lange Bluse, zum Einkaufen lange Kleider, wenn es kalt war Jeans unter der wadenlangen Kutte, darüber noch einen normalen Anorak. Frauen durften weder Auto fahren noch alleine auf die Straße gehen. Die Angst vor der Gebetspolizei war auch damals ziemlich berechtigt.

Im September 1983 sind wir vom Golf nach Riad geflogen, wo der Arbeitgeber von Achim ebenfalls eine Niederlassung unterhielt. Die dortigen Kollegen kannten Deutsche, die seit etlichen Jahren in Riad arbeiteten, im Basar systematisch nach alten Teppichen aus der Wüste und anderen Antiquitäten suchten, und Pferde hielten, um Araber für die Rennbahn zu züchten.

Kurz nach unserer Ankunft in Mansouriah wurde Achim gefragt, wie gut seine Frau reiten könne. Ein Hengst, der seit Monaten nicht aus der geräumigen Box von 70qm heraus gekommen war, sollte vielleicht endlich mal bewegt werden. Achim meinte gut und schon wurde der Araberhengst Lark gegen den erbitterten Widerstand der Pferdepfleger aus dem Jemen für mich gesattelt.

 

Ein wildes Rennen auf einem unbekannten Pferd in fremder Landschaft

Wie hat der Hengst sich gefreut! Aber wie entert man einen wilden Tänzer der nur ab und zu mit einem Bein den Boden berührt? Man muss sich werfen lassen!

Wush! Ab ging es! Der Araberhengst raste im wilden Galopp ganz alleine mit mir durch die Wüste und wäre durch nichts und niemand zu stoppen gewesen. Aber ich habe sofort gefühlt, dass er mich nicht loswerden will, sondern einfach nur so lange laufen möchte, bis er genug hat. Den Jagdsitz im Englischsattel war ich damals gewohnt, er war mir bequem und deshalb  flog ich auf Wolke 7 durch die Wüste, im Rausch von Larks Kraft und Geschwindigkeit, ganz frei von Angst.

Ich konnte mich auf das Pferd einlassen und verlassen, ließ ihn Tempo und Richtung selbst bestimmen. Da die Wüste ziemlich steinig war, bog er irgendwann auf zur Aussaat bestellte Felder mit ganz feiner Erde ab. Fahrtwind und Staub trieben mir ordentlich Tränen in die Augen, ich sah nicht wirklich viel, aber ich habe gefühlt und genossen. Das Beste am Reiten waren für mich von jeher nicht das Benutzen oder Herrschen über eine andere Kreatur, sondern das Teilhaben an dieser unbändigen Kraft, das Fühlen der Muskeln, die Schnellkraft, der Rhythmus, das Schnauben hören und den Duft des Pferdes riechen mit einer tiefen Dankbarkeit im Herzen für das Mitgenommenwerden.

 

Achtung! Gebetspolizei?

Ganz unvermittelt tauchte ein Geländewagen neben uns auf. Jetzt bekam ich große Angst vor den fremden Männern. Einerseits hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen der Hufspuren in den Feldern, andererseits war ich verbotenerweise alleine unterwegs. Gebetspolizei?! In Jeans und T-Shirt alleine unterwegs wäre ich in jeder saudischen Ortschaft sofort verhaftet worden.

Mittlerweile ritt ich sogar mit nackten Beinen, weil sich meine Jeans über die Knie hoch geschoben hatten! In einem Land, in dem Frauen nicht ohne Vollverschleierung aus den Haus gehen dürfen, wurde mir bewusst, dass ich mir sehr viel Ärger einhandeln konnte. Was denken die Männer von mir, die mich im Jeep begleiten?

Schnell habe ich die Zügel ganz auf den Mähnenkamm von Lark gelegt, damit ich mit beiden Händen meine Jeans über die Knie ziehen und dort festhalten konnte, bis das Auto endlich abgedreht hat.

Lark galoppierte so lange weiter wie er nur konnte. Irgendwann fiel er in einen raumgreifenden Schritt und machte kehrt Richtung Stall. Jetzt fiel mir auf, dass er sich versprungen hatte und auf einer Vorhand lahmte.

Als wir tiefenentspannt zurück kamen, standen die zuvor extrem unfreundlichen Pferdepfleger Spalier, jeder einzelne hat mir die Hand anerkennend gedrückt. Eine noble Geste in einem sonst für Frauen sehr schwierigen Land.

Herrlich war der Ritt und ganz unverhofft! Die schönsten Erlebnisse ereignen sich unverhofft und werden nicht von einer Erwartungshaltung geschmälert.

Unser wilder Ritt hatte unter den Einheimischen Aufsehen erregt, aber niemand schien mir meinen Aufzug übel zu nehmen, zumindest ließ das positive Feedback darauf schließen.

Ich konnte dieses wunderbare Pferd noch weitere Male besuchen und reiten, zuerst kam unser Run zum Auspowern, anschließend folgten zivilere Ritte in der Gruppe, z. B. nachts bei Vollmond durch die Wüste. Der wunderbare Hengst hat mich niemals in eine gefährliche Situation gebracht, wir waren ein Team auf gleicher Wellenlänge.

 

Seither leide ich an Arabitis und an Fernweh.

Was immer übrig bleibt, ist die Liebe. Lark, eine Kerbe in meinem Herzen trägt deinen Namen.

Margit 1/2018

2019-01-16T20:01:53+01:00